Die Verteidiger des Abendlands

»Die Zeit schreit nach Satire« – nach diesem Tucholsky-Text benennt die Kurt Tucholsky-Gesellschaft ihre neue Anthologie, die im Jubiläumsjahr 2015 erscheinen soll.

Und es ist wirklich so, anders als satirisch ist das alles gar nicht mehr zu ertragen, was sich in Dresden und anderswo abspielt. Wer da so alles bei Spengler reloaded mitspielt – das treibt einem derart die Tränen der Verzweiflung in die Augen, dass sich doch ernsthaft die Frage stellt: Wenn dies Ausdruck des zu verteidigenden Abendlandes ist, wäre dann ein Untergang desselben nicht möglicherweise doch zu begrüßen?

Und doch, es ist auch mein Land, um das es hier geht. Da ist eben nicht egal, wenn hier wieder Leute unterwegs sind, um »der ganzen Welt und sich selbst zu beweisen, dass die Deutschen wieder die Deutschen sind«. Ich bin nur so müde. Meine politische Sozialisation erfolgte in den Neunziger Jahren, in den Jahren von Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Hoyerswerda. Irgendwie hatte ich mich der Illusion hingegeben, diese Gesellschaft habe etwas gelernt und das Thema zumindest hätten wir hinter uns. Haben wir aber nicht. Und wenn selbst CSNY die Klampfen wieder in die Hand nehmen, weil sie merken, dass ihre Themen doch noch nicht durch sind – nun, dann werden wir jungen Hüpfer das doch wohl auch hinbekommen. Dann müssen wir wohl wieder raus.

Denn, wie der Hausheilige dieses Blogs 1929 schrieb:

Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands … !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.

Eben. Wir sind auch noch da. Wird Zeit, dies auch wieder zu zeigen:

Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land.

In diesem Sinne: Nehmen wir die Ratschläge der skeptischen Generationen ernst, hängen wir nicht nur die ganze Zeit vorm Rechner. Gehen wir doch mal wieder draußen spielen.

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Mit dem Holzhammer

Nach dem Angriffskrieg der USA gegen den Irak sah sich Neil Young gezwungen, mit Crosby, Stills und Nash die alten Lieder wieder auszupacken und erneut durchs Land zu touren, um den Menschen die Idee nahezubringen, dass Kriege beginnen nur so mittel ist. Die Dokumentation dazu heißt nicht zufällig »Déjà Vu«.

Ich habe Hannes Wader ungefähr zu der Zeit in einem Auftritt gesehn, bei dem er auf mich den Eindruck machte, als hätte er gedacht, nach fast dreißig Jahren »Es ist an der Zeit« nicht mehr singen zu müssen.

Die Ereignisse in Schneeberg (und nicht nur die, sie mögen hier exemplarisch stehen) lassen mich erkennen, dass wir offenbar auch in der Frage des Zusammenlebens in diesem Land wieder ganz von vorne anfangen müssen. Dass wir wieder an einem Punkt stehen, an dem wir ernsthaft erklären müssen, »dass ›fremd‹ kein Wort für ›feindlich‹ ist«.

Nun gut, wenn es denn sein muss, dann müssen wir das mit den feineren Argumentationen eben lassen und den Holzhammer wieder herausholen:

Ergänzend sei noch auf einem maßgeblichen und großartigen Text des Hausheiligen verwiesen, der fordert, den Begriff »Heimat« nicht preiszugeben, dort ist zum Beispiel zu lesen:

Und nun will ich euch mal etwas sagen:
Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ›national‹ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands … !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.[…]

Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird … wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden.
Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.

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aus: Tucholsky, Werke und Briefe: 1929. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 7197-7198. Digitale Bibliohtek Berlin, 1999 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 7, S. 314)