Kira Jarmysch: DAFUQ

Umschlagabbildung zu Kira Jarmysch, Dafuq

Anja wird zu 10 Tagen Arrest verurteilt. Sie hatte einen Aufruf für eine Anti-Korruptionsdemo geteilt. Einen Großteil des Arrests verbringt sie mit fünf anderen Frauen in einer Zelle.

Dass Anja, ehemals Kandidatin für die Arbeit im Außenministerium, noch immer an ein funktionierendes Rechtssystem glaubt, zeigt sich bereits zeitig, als sie tatsächlich meint, mit einer Beschwerde gegen das Urteil etwas erreichen zu können. Stattdessen lernt sie in den zehn Tagen ihrer Arrestzeit, wie sehr sie der Willkür der Machthabenden ausgesetzt ist – und sei es nur die Macht über die Suppenkelle, mit der bestimmt wird, wessen Portion wie groß ist.

Kira Jarmysch zeichnet das Porträt einer Gesellschaft, in der alle versuchen, sich irgendwie zu arrangieren. Nichts stößt auf so viel Unverständnis wie Anjas Engagement gegen Korruption, überhaupt ihr Eintreten für politische Veränderungen. In ihrer Schicksalsergebenheit, ihrem Glauben daran, sowieso nichts ändern zu können, erinnern ihre Protagonist:innen an zahlreiche Vorbilder in der russischen Literatur.

Es ist faszinierend, wie alle ihre eigenen Erfahrungen mit Ungerechtigkeiten, Ausnutzung, Gewalt, Übergriffen, Diskriminierung machen – und die Idee des Aufbegehrens aber nicht aufkommt. Stattdessen finden Anjas Zellengenossinen ihre eigenen Wege, mit der gegebenen Welt umzugehen und ihre Vorteile zu finden.

Die Gespräche der Frauen miteinander sind – bei aller Rauheit im Ton – geprägt von Verständnis und im engen Rahmen, den der Arrest bietet, unterstützen sie sich gegenseitig, decken sich, schlagen den Wächtern Schnippchen oder manipulieren sie oder Mithäftlinge zu ihren Gunsten.

Kira Jarmysch schafft es dabei, ihre Heldinnen mit all ihren Eigenheiten und Schwierigkeiten, manchmal auch Abgründen, sympathisch und lebendig zu zeichnen.

Mir wurde sehr deutlich, warum es keine wirksame, öffentlich sichtbare Widerstandsbewegung gibt: Viele Menschen sind schlicht damit beschäftigt, irgendwie durch ihr Leben durchzukommen – auffallen ist dann gefährlich.

Es dürfte schwer fallen, diesen Roman zu lesen ohne die Biographie der Autorin zur Kenntnis zu nehmen. Aber es lohnt sich.

Buchdetails:
Kira Jarmysch: DAFUQ [OT Невероятные происшествия в женской камере № 3], übersetzt von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin 2021, 412 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-7371-0140-0, 22 €, als ebook 14,99 €
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Singt von Hoffnung

Der erste Weltkrieg gilt, durchaus nicht zu Unrecht, als »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«. Dieses Schlagwort allerdings suggeriert in der allgemeinen Wahrnehmung leicht, dieser Krieg mit all seinen Ausmaßen wäre über die heile Welt des »langen 19. Jahrhunderts« hereingebrochen.

Dem ist freilich nicht so, wie jedes historisches Ereignis hat auch der erste Weltkrieg eine lange Vorgeschichte und ist letzlich auch nur das Ergebnis eines langen Prozesses.

Ein Konflikt, der bereits 60 Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges Pate stand, war der Krimkrieg.

Ich würde an dieser Stelle gerne einen elaborierten Text darüber schreiben, warum und wieso die Krim erneut in den Mittelpunkt eines eurasischen Krieges geraten könnte – und warum das nicht geschehen wird.

Kann ich aber nicht. Zum einen, weil mir die Kenntnisse fehlen (ich bin nicht in der Lage, in dieser undurchsichtigen Gemengelage zu einer klaren Analyse zu kommen und traue denen, die das von sich behaupten nicht, da mir gleichzeitig die Kenntnisse fehlen, um Quellen zu überprüfen*) und zum anderen, weil ich einigermaßen paralysiert bin.

Ich habe Angst vor dem, was dort noch kommen mag. Das macht mich etwas hilf-, rat- und sprachlos.

So bleibt mir vorerst nur zu hoffen. Zu hoffen, dass der Traum mancher Träumer doch kein Traum bleibt.

»Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people living life in peace.«

Was damit zusammenhängen könnte, dass ich im Russisch-Unterricht seinerzeit den Fokus eher auf die Verbesserung meiner Doppelkopf-Qualitäten als auf die Verbesserung meiner Russisch-Kenntnisse legte). So ist das mit den Prioritäten….

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