Die bösen Nichtwähler

Morgen ist es also mal wieder soweit:
Es sind vier Jahre rum, auf einmal ist die Meinung der Bürger wieder furchtbar wichtig und so werden diese denn auch von durch Werbeagenturen gnadenlos optimierten und nahe an die Nullaussage geführten Kampagnen umworben. Da hat sich nicht viel geändert, es sei daher noch einmal auf die Plakate-Rundschau aus dem Landtagswahlkampf 2009 verwiesen verwiesen. Es ist erstaunlich, wie wenig Unterschied das macht.
Eines allerdings scheint mir 2013 nun doch neu zu sein, nämlich das zunehmende Nichtwähler-Bashing. Ich bilde mir ein, dass in früheren Wahlgängen doch die Frage, wie man sie zum Wählen motivieren klönnte, twas mehr im Vordergrund stand. Jetzt aber tendiert das doch eher in Richtung Beschimpfung. Als ob es keine guten Gründe gäbe, nicht wählen zu gehen. Ich jedenfalls kann es sehr gut nachvollziehen, wenn sich jemand aus guten Gründen weigert, für etwas zu sein, von dem er oder sie nicht überzeugt ist. Denn das Kreuz auf dem Wahlzettel ist j aimmer eine Entscheidung für jemanden. Und wenn keine der angebotenen Optionen akzeptabel ist, halte ich es für absolut zulässig, die Zustimmung zu verweigern. Schließlich werden sich hinterher alle hinstellen und behaupten, soundsoviele wären von ihrer Politik überzeugt und hätten ihnen einen Auftrag erteilt. Da spielen Differenzierungen wie »Ich wähle die unter großen Bauchschmerzen, weil alle anderen noch schlimmer sind.« keine Rolle. natürlich kann es sein, dass Menschen nicht wählen, weil sie zu bequem oder zu faul sind. Das scheinen mir aber weit weniger zu sein als das gemeinhin behauptet wird. Die meisten Menschen, die nicht wählen gehen, wählen deshalb nicht, weil das Politiktheater, das ihnen geboten wird, sie nicht mehr überzeugt. Weil sie den Eindruck haben, dass dort etwas grundlegend falsch läuft.
Um nur mal einen Aspekt herauszugreifen: ich empfehle der geneigten Leserschaft einmal, sich die Lebensläufe der Regierungsmitglieder anzuschauen und zu überprüfen, wie viele von denen jemals einer realen Arbeit nachgegangen sind. Der Anteil der Politiker, die schon einmal etwas anderes gemacht haben als Politik, nimmt stetig ab. Das wird zunehmend ein Verein, der Leute heranzüchtet, die nichts anderes kennen als diesen nach seinen eigenen Regeln funktionierenden Betrieb. Und Inzucht war schon immer problematisch.

Auch wenn ich zu einem anderen Schluss komme, aber wenn Menschen, die noch vor wenigen Jahren auf die Straße gegangen sind, um unter Einsatz ihrer Unversehrtheit für ein Recht auf freie Wahlen zu kämpfen, jetzt zu Hause bleiben und verzichten, dann sollte das ein Signal sein, darüber nachzudenken, ob hier nicht etwas grundlegend falsch läuft.

Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
an eine Republik … und nun ists die!

schrieb Kurt Tucholsky in »Ideal und Wirklichkeit«.
Dass die Lösung nicht in Appellen und noch mehr Plakaten und noch mehr Wahlständen liegt und auch nicht in der Beschimpfung von Nichtwählern als miese Demokraten, die bequem geworden sein und ihre Freiheit nicht zu schätzen wüssten. Nein, hier wäre mal eine gründliche Supervision oder zumindest mal eine Selbstreflexion angebracht. Möglicherweise macht ihr ja etwas grundlegend falsch, liebe PolitikerInnen. Think about it. Wenn ihr das noch könnt.

Zum Abschluss seien noch zwei Beiträge zum Thema empfohlen, zum einen der grundlegende Tucholsky-Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«, leicht gekürzt, aber unschlagbar vorgetragen von Gerd E. Schäfer:

Und natürlich, die nicht weniger grundlegende, aber doch weniger feingeistige Southpark-Folge »Wähl oder stirb«

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Gestürzte Götter

Eine junge Frau ist gestorben. Zu Grunde gegangen an multipler Sucht, unter der voyeuristischen, sensationsgeilen Beobachtung der Gesellschaft. Da standen sie alle da und schauten zu, wie ein Mensch zerbrach.

Amy ist nicht gestorben, nein vielerorts konnte man dann diverse Versionen von “die ist endlich abgekratzt” hören. Und wenn man dem dann etwas entgegen setzte, bekam man ein “aber das hat sie sich doch selbst zuzuschreiben”. Ja, ach. Aber so ist das wohl, wenn man einmal diese Figur ist, der dann eine gesamte Öffentlichkeit beim langsamen Verenden zuschaut.

schreibt Herm in seinem hier dringend zur Lektüre empfohlenen Beitrag “Für Amy
Es ist in den letzten Tagen viel zum Tode Amy Winehouses zu lesen gewesen. Und natürlich wird sie gewürdigt als eine Frau mit großer Stimme und großem Talent, die leider, leider, den Drogen verfallen ist und nun leider, leider so früh von uns ging und es war ja auch nicht und die Schlagzeilen, die sich so wenig auf die Musik bezogen.
Warum eigentlich nicht? Was bringt uns dazu, Geld zu bezahlen, damit Menschen bis in intimste Bereiche ausgespäht werden? Daß sie keine Sekunde Ruhe, Frieden, Privatheit haben?
Was bringt uns dazu, lustvoll von Fehltritten, Ausrutschern, Abstürzen, Verfall zu lesen?
Was ist es, das uns antreibt, Befriedigung am grundlegenden Scheitern anderer Menschen zu empfinden?
Was bringt uns dazu, jedes noch so kleine Detail erhaschen zu wollen, um beim öffentlichen Sterben eines Menschen aber auch ja nichts zu verpassen?
Es scheint nur wenig befriedigender zu sein, als Götter stürzen zu sehen. In unserer weitgehend säkularisierten Welt müssen wir uns unsere Heroen selbst schaffen – und es scheint gut zu tun, zu sehen, wenn die dann – Überraschung! – “auch nur Menschen” sind. Mit welcher Gefühlskälte da über Mitmenschen geurteilt wird, die den Fehler begangen haben, etwas zu schaffen, das anderen etwas bedeutet, ist geradezu abstoßend und läßt mich ein weiteres Mal an der Menschheit zweifeln. Wäre ich nicht zufällig Bestandteil derselben, ich hielte es mit Protestnik Vogon Jeltz: “Ein lahmer Drecksplanet ist das, ich habe nicht das geringste Mitleid”.

In der SouthPark-Folge “Britney´s neuer Look” (natürlich aus der großartigen Staffel 12) gehen die Macher genau dieser Frage nach. Und ich kann mich ihrer Analyse nur vollumfnglich anschließen. Was Tucholsky dem Leser 1985 zuruft, gilt auch in ganz anderen Zeitdimensionen: “Besser seid ihr auch nicht als wir und die vorigen. Aber keine Spur, aber gar keine –”
Wir nennen unsere Fruchtbarkeitsgötter nicht mehr so, aber noch immer beten wir sie an und zerstören ihre Statuen und Tempel, sobald sie nicht mehr funktionieren. Heute darf es eben auch gerne mal der heroisierte Mitmensch sein.

Schließen möchte ich mit einem beim Herm geborgten Zitat aus Russell Brands Posting zum Tod von Frau Winehouse, in der Hoffnung, es möge dem einen oder anderen in Erinnerung rufen, daß auch hier ein Mensch starb:

When you love someone who suffers from the disease of addiction you await the phone call. There will be a phone call. The sincere hope is that the call will be from the addict themselves, telling you they’ve had enough, that they’re ready to stop, ready to try something new. Of course though, you fear the other call, the sad nocturnal chime from a friend or relative telling you it’s too late, she’s gone.

Frustratingly it’s not a call you can ever make it must be received. It is impossible to intervene.


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Gachmurets dritte Kulturwoche: Fernsehserie

Fernsehserie: South Park

Als South Park 1999 in Deutschland anlief, erhob sich allerorten Abendlanduntergangsgeschrei ob der angeblich sinnfreien Zusammenstellung diverser Körperflüssigkeiten und entsprechender Worte. Gar nicht erst zu reden von der furchtbaren Brutalität. Die armen Kinder, wenn die sowas sehen.
Nun, zunächst einmal sei dazu gesagt, daß es ein kulturelles Mißverständnis der hiesigen Kulturbeflissenen ist, alles, was irgendwie bunt und animiert daherkommt automatisch mit “Zielgruppe Kinder” zu belegen. Dabei ist bereits der anarchische, grobe Zeichenstil der SouthPark-macher ein klarer formaler Hinweis darauf, daß hier nicht Guckmaldassüßekleinebambi-Fans angesprochen werden sollen. Bei Faldbakken, Houellebecq oder Hegemann ist das Feuilleton ja auch nicht so zimperlich.
Im Fernsehen wird SouthPark denn auch mit FSK16-Hinweis ausgestrahlt, wenn auch sicherlich nicht, weil man jüngeren Zuschauern das intellektuelle Niveau der Serie nicht zutraut. Es macht dies allerdings auch nur bedingt Sinn, bedenkt man, daß sämliche Folgen problemlos im Netz anzuschauen sind. 😉
Ich selbst fand erst Jahre später zu SouthPark. Zum Serienstart ließ mich die durchaus typische intellektuelle Arroganz des geisteswissenschaftlichen Studenten im Grundstudium (ihr wißt schon: “Ich war schonmal in einem Seminar und habe ein Buch gelesen!”) nur abschätzig die Nase rümpfen. Einen völlig anderen Blick auf diese Zeichentrickserie verdankte ich Michael Moores “Bowling for Columbine“, in dem auch Matt Stone, einem der beiden Schöpfer von South Park, interviewt wurde (Anlaß war der Fakt, daß Stone in Littleton die High School besuchte). Stone erwähnte dabei, daß ein Ziel seiner Arbeit sei, zu zeigen, was wir eigentlich anrichten mit dem seltsamen Gemisch aus Halbwahrheiten, Lügen und Verschweigen, mit dem wir unseren Kindern die Welt zu erklären meinen (er sagte das bestimmt anders, aber so wirkte es auf mich).
Und das ließ mich nachdenken. Und mir den Unsinn einmal ansehen.
Was Stone und Parker dort schaffen, ist nichts weniger als großartig, auch wenn diese Einschätzung sehr viel eher auf die späteren Staffeln als auf die frühen zutrifft. Aber die Serienjunkies in der geneigten Leserschaft wird ein solcher Satz kaum überraschen. 😉
Im Mittelpunkt der Serie stehen Grundschüler aus einem fiktiven kleinen Ort irgendwo in den Bergen der USA. Wie jede Fernsehserie schafft auch SouthPark sein eigenes Universum um einige zentrale Protagonisten, aber ich möchte hier darauf verzichten, da ins Detail zu gehen, weil das vollkommen unnötig ist und ich außerdem denjenigen, die die Serie noch nicht kennen sollten, die Chance lassen möchte, die Charaktere selbst kennenzulernen.
Mit einem treffsicheren Witz, einer präzisen Beobachtungsgabe und einer Lust am Demontieren auch des letzten Tabus gelingt es dem Duo Stone/Parker gekonnt, die Forderungen des Hausheiligen an die Satire zu erfüllen:

Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: »Seht!« – In Deutschland nennt man dergleichen ›Kraßheit‹. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. […]Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.[…]
Was darf die Satire?
Alles.

*

Wer mir bis hierhin nicht glaubte, dem seien nun einige Folgen empfohlen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Ich beginne mit einer Episode, die ich für eine der stärksten überhaupt halte. Sie wirkt deshalb besonders intensiv, weil sie exakt auf unsere Erwartungen zielt, wie eine Geschichte zu verlaufen hat.
Stanley´s Cup” (Staffel 10, Episode 14)

Daß ich Matt Stone vielleicht nicht falsch verstanden habe, mag auch folgende Episode verdeutlichen, die mich bis heute darin bestärkt, im Weihnachtsmann den einzigen Fall stehen zu lassen, in dem ich meinem Kind bewußt die Unwahrheit gesagt habe (und es nagt noch immer, aber es ist andererseits auch nicht leicht, einer Dreijährigen diesen immensen sozialen Druck zumuten zu wollen…)
Zahnfee-Mafia & Co. (Staffel 4, Episode 2)

Das nächste Beispiel zeigt großartig, was passiert, wenn man Kindern irgendwelches Halbwissen präsentiert – die reimen sich den Rest nämlich einfach selbst zusammen. Mit ganz eigenen Ergebnissen. Und einem für meinen Geschmack etwas zu moralinsauren Ende. 😉
Hundemelken (Staffel 5, Episode 7)

Die bösen großen Konzerne machen all die kleinen Läden kaputt. Doch wie sonst gilt auch hier: es gehören immer zwei dazu. Die, die etwas anbieten und diejenigen, die es kaufen. Aber diese Einsicht ist auch nicht so einfach umzusetzen. 😉
Das Böse kommt auf Wall-Marts Sohlen. (Staffel 8, Episode 9)

Eine böse Folge ist diese Episode, in der eine Parabel auf den modernen Popstarrummel erzählt wird.
Britneys neuer Look (Staffel 12, Episode 2)

So, und dann noch ein bißchen Bildungsfernsehen. Ich bin inzwischen der Meinung, daß im Rahmen der 14 Staffeln, die bisher gedreht wurden, wohl alle Themen des postmodernen Lebens abgehandelt wurden. Die vielleicht beste SouthPark-Folge ist die über Scientology.
Schrankgeflüster. (Staffel 9, Episode 12)

Zum Abschluß noch einen kleinen Spaß, meine Lieblingsfolge:
Die Liga der Super Besten Freunde. (Staffel 5, Episode 4) >> Wie ich gerade lese, wurde diese Episode aus absurden Gründen offline gesetzt.

Na gut, dann noch ein paar Tipps in loser Folge:
Ärger mit den Mandeln (S12E01)
Scott Tenorman muss sterben! (S05E01)
Gott ist tot I + II (S10E12+13)

Und noch viele mehr. Mein Favorit ist die Staffel 12, aber auch ansonsten liegt die Fehlgriffquote ab Staffel 5 insgesamt recht niedrig, denn natürlich ist auch bei SouthPark nicht alles perfekt. 😉


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*aus: Was darf die Satire? in: Werke und Briefe: 1919. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 1193ff. (vgl. Tucholsky-GW Bd. 2, S. 43ff) (c) Rowohlt Verlag http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm