Laßt euch nicht abspeisen

Meine politische Desillusionierung fand bereits im Jahr 1997 statt.
Damals gab es in diesem wunderbaren Land den sogenannten Lucky Streik, bei dem gegen verschiedene Fehlentwicklungen in der Hochschulpolitik protestiert wurde (restriktive Maßnahmen gegen ausländische Studierende (Slogan damals: “Ausländer bleiben! Kanther vertreiben!”), massive Streichungen in den Budgets, Überfüllungen der Hörsäle, nicht besetzte Lehrstühle, Kahlschlag im akademischen Mittelbau, Verringerung des Studienangebotes etc.). Obwohl die Probleme vor Ort durchaus nicht vollkommen identisch waren, gab es doch eine bundesweite Vernetzung, die einen beeindruckenden Effekt erzielen konnte. In Halle wußte man sehr schnell Bescheid, was in Gießen los war und umgekehrt. Die Studierenden hatten starken Rückhalt durch die Lehrenden (zumindest für meine Uni kann ich das bestätigen), da die angesprochenen Probleme ja keine rein studentischen waren, sondern die Qualität der Hochschulen generell in Frage stellten. So gab es wunderbare Aktionen mit den Lehrenden zusammen, mein Liebling waren die offenen Vorlesungen, die an öffentlichen Plätzen stattanden und damit dem Konzept entsprachen, die Anliegen der Studierenden “nach draußen” zu tragen.

Nunja, was mich damals unglaublich deprimierte, war der Grund, warum die Proteste versiegten, obwohl nichts erreicht war. Zumindest für meine Universität kann ich sagen: Schuld waren im Wesentlichen die Semesterpause zum Jahresende und die Beruhigungspillen der Landespolitik. Nach der großen Veranstaltung auf dem Domplatz in Magdeburg, bei der versprochen wurde, die Wünsche der Studenten zu berücksichtigen (ja, konkreter war es nicht!), brach der Widerstand zusammen. Viele meiner KommilitonInnen glaubten tatsächlich, mit einer so unbestimmten, schwammig formulierten Zusage seien die Ziele erreicht und nun werde alles gut. Nach der Abstimmung in der Vollversammlung (in der selbst meine flammende Rede nicht wirkte 😉 ), habe ich den Glauben an meine Generation verloren. Wer so naiv ist, mit dem ist wohl keine Weltrevolution zu machen. Und da reden wir über die angebliche Elite, über die intellektuelle Speerspitze, über die Jugen, die uns dank ihrer progressiven Kraft gesellschaftlich weiterbringen soll. Und die ließ sich also einwickeln von durchschaubarem Politikergeschwafel. Weiter reichten die analytische Fähigkeiten wohl nicht…

Es lohnt wohl kaum zu erwähnen, daß von der Zusage nichts übrig blieb und die Pläne unverändert umgesetzt wurden, oder?
Ein Jahr später habe ich mich endgültig von jeglicher politischer Tätigkeit verabschiedet.
Aber, und da geht es mir wie Herrn Kaliban, gelegentlich wallen klassenkämpferische Nostalgiegefühle auf und so betrachte ich die derzeitigen Studierendenproteste, die sich interessanterweise um nahezu dieselben Themen drehen (wenn auch die Problematik inzwischen deutlich verschärft ist – wir hatten eben doch Recht 😉 ) mit deutlicher Sympathie.
Einen ausgezeichneten Kommentar zur diesjährigen Bewegung mit zahlreichen weiterführenden Links gibt es bei Julia Seeliger.
Ich möchte nur noch einen Wunsch äußern: Liebe Studierende, es ist zwar für viele Entwicklungen bereits zu spät, aber ihr habt völlig Recht, die Uni brennt und wenn noch irgendetwas gelöscht werden soll, dann haltet durch, laßt euch weder durch harmonische Feiertage samt Mamas Weihnachtsbraten (die euch Kraft geben mögen) noch durch Versprechungen wie das gestrige von Frau Schavan einlullen. Es müssen nicht alle Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Auch wenn ich mir bei den Ereignissen in Jena nicht sicher bin, ob das alle Beteiligten so sehen – ähnliches gab es bereits früher…

Anstelle eines Kommentars des Hausheiligen zum Thema gibt zum Abschluß einen wichtigen Hinweis, und zwar auf die DemoFibel, deren Beherzigung helfen kann, Eskalationen zu verhindern.
Denn schließlich, wie wir alten Revoluzzer ja wissen: “Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.” (Che Guevara)

Gachmurets zweite Kulturwoche: Film

Film: Blutige Erdbeeren

Ilja Ehrenburg schreibt in seinen Memoiren, daß Menschen nicht aus der Geschichte lernen, weil sie nicht in der Lage seien, aus Erfahrungen anderer zu lernen, sondern nur aus den eigenen Erfahrungen lernten.
Ein Mensch, der wie Ehrenburg (1890-1967) das 20. Jahrhundert in all seinen Irrwegen erlebt hat, kann wohl auch kaum zu einem anderen Schluß kommen. Und wahrscheinlich hat er Recht. Die Anzeichen dafür, daß er falsch liegen könnte, sind jedenfalls rar.
Nichtsdestotrotz hoffe ich sehr, daß es sich nicht um eine anthropologische Grundkonstante handelt, denn es wäre sehr wichtig, endlich mal aus der Geschichte zu lernen. Um dies zu ermöglichen, bedarf es jedoch der Erinnerung.
Und so gilt es immer wieder, sich das ein oder andere in Erinnerung zu rufen, um aktuelle Entwicklungen einzuschätzen und einordnen zu können.
Hilfreich kann dabei die Kunst sein, weil sie eine Mittlerfunktion zu übernehmen vermag.
Ich möchte heute daran erinnern, daß viele unserer heute selbstverständlichen Ausdrucksformen des politischen Protestes gar nicht so selbstverständlich sind. Daß es keineswegs immer und überall nur böse Schurkenstaaten waren, die Studentenproteste niederknüppelten, die auf Unibesetzungen mit brutaler Gewalt reagierten, die Opposition nicht duldeten. Es waren durchaus Staaten dabei, die sich auf ihre demokratische Tradition und Grundverfassung eine Menge einbildeten (und es auch heute noch tun).
Der Film “Blutige Erdbeeren” beruht auf dem Buch “Das Erdbeer-Manifest” von James S. Kunen, das von den Ereignissen der Studentenrevolte an der Columbia-Univerität 1968 berichtet und erzählt die Geschichte des Studenten Simon James, seines Zeichens eher Sonderling aus Kansas als strahlender Mittelpunkt des Studentenlebens. Durch die Studentin Linda gerät er allerdings in die politischen Aktivitäten, wird selbst politisiert und aktiver Teilnehmer. Dies alles vor dem Hintergrund einer zunehmenden Eskalation der Gesamtsituation.
“Blutige Erdbeeren” ist sicher kein Meilenstein des modernen Kinos, aber er ist gut gemacht (den Preis der Jury in Cannes bekommt man ja nun auch nicht mal eben so) und er fängt eine Stimmung sehr gut ein, die in solchen Situationen immer wieder entsteht, zeigt, was geschieht, wenn Sturheit, Arroganz und Dogmatismus die Regie übernehmen. Die zeitliche Nähe zu den Ereignissen (der Film erschien 1970) kommt ihm dabei sicher zu Gute.
Der Film, und insbesondere seine Schlußszenen, gehört zu den prägendsten Erfahrungen meiner Jugend. Nur wenige Dinge haben mich stärker politisiert, haben meinem Mißtrauen gegen staatliche Obrigkeit und den Bestand und die Gültigkeit von Normen und Werten stärkere Bilder gegeben.
Doch unerheblich von meiner perösnlichen Betroffenheit bleibt der Film ein künstlerisches Dokument der seinerzeitigen Stimmung und ein Aufruf dazu, nicht zu vergessen und nichts als gegeben hinzunehmen.
Den Soundtrack steuerten übrigens zu erheblichen Teilen Crosby, Stills, Nash & Young bei, die sich ja auch nach einigen Jahrzehnten gezwungen sahen, daran zu erinnern, daß sich weniger ändert, als wünschenswert wäre.
Zu kaufen gibt es “Blutige Erdbeeren” auf DVD, zum Beispiel hier.

Eine der ungeklärten Fragen, die mich mit dem Film verbindet, ist übrigens die, was zum Henker den StuRa Halle beim Lucky Streik geritten hatte, “Blutige Erdbeeren” im Tscherny zu zeigen. Für Studenten im Protest ist der Film eher nicht zur Motivation geeignet. So ging der Streik ja auch zu Ende…