Seht und bestaunt die gar große Gauckeley. Eine Twitteriade.

Für gewöhnlich locken Fernsehübertragungen von der Bundesversammlung nicht für hohe Einschaltquoten. Dies dürfte gestern anders gewesen sein. Selten war das allgemeine Interesse an der Bundespräsidentenwahl so groß.
Nun, das Ergebnis ist bekannt, Christian Wulff wurde mit der absoluten Mehrheit der Stimmen der Bundesversammlung gewählt.
Geärgert habe ich mich den Abend über allerdings nicht über dieses erwartbare Ergebnis, sondern über die Scheinheiligkeit der Gauck-Nominierer von SPD und Grünen.
Als ob hinter der Nominierung Joachim Gaucks etwas anderes stünde als parteitaktische Überlegungen. Als ob es um nichts anderes ging als darum, Frau Merkel eins auszuwischen und die Linke zu blamieren.
Zugegeben, es war ein geschickter Schachzug. Und zugegeben, sie hatten den besseren Kandidaten. Wahrscheinlich.
Ob das Kalkül aufgeht, darf mithin bezweifelt werden. Wulff ist gewählt, in 3 Wochen redet niemand mehr von den drei Wahlgängen. Das ambivalente Verhältnis der LINKEn zu DDR und Staatssicherheit hat deren Wähler bisher nicht abgehalten. Ist mir schleierhaft, warum denen das auf einmal wichtiger sein sollte als Hartz IV und Afghanistan, den Populismus-Themen also, mit denen die Gysi-Lafo-Truppe bisher gepunktet hatte. Die LINKE ist also nicht, wie @tochter_des_bb kommentierte, “kleinlich und dumm”, sondern nur konsequent. Welchen Nutzen sollte es gehabt haben, für Gauck zu stimmen? Einen Kandidaten, der konservativ bis ins Mark ist und dessen Positionen in genau den Fragen, die wichtig für deren Wähler sind, diametrale Positionen vertritt? Der Nutzen, über einen “Schatten” zu springen? Um nicht mehr “SED” genannt zu werden? Die eigene Anhängerschaft vergrätzen, damit sich SPD und Grüne feiern lassen können? Kurz: Um Leute zu beeindrucken, die nie und nimmer sie wählen werden? Das wäre doch absurd.
Nein, das Verhalten, gerade von Leuten wie Gabriel, deutete doch eher darauf hin, daß sie gar nicht wollten, daß die LINKE für Gauck stimmt. Wer zu Gesprächen vor dem letzten Wahlgang geht und dabei sagt, er habe nichts zu verhandeln, will doch auch gar kein Ergebnis erreichen. Und wie gesagt: Die Bolschewisten-Karte hat bisher nicht gezogen – ich glaube nicht, daß sie in Zukunft ziehen wird.
Dies zum einen.
Zum anderen finde ich die Schizophrenie der Kommentatoren bemerkenswert. Da lesen wir also landauf, landab davon, daß die Wahl des Bundespräsidenten bitte schön unabhängig von Parteipolitik sein solle und da wird ein Kurt Biedenkopf bejubelt, weil er eine Entwicklung bejammert, die ihn in anderen Zusammenhängen nie gestört hat (also, nur mal zur Erinnerung, auch andere Parlamentarier, nicht nur die der Bundesversammlung, sind verfassungsgemäß einzig ihrem Gewissen verpflichtet – was König Kurt aber auch nie gehindert hat, auf Fraktionszwang zu pochen…) und etwas fordert, was völlig unstrittig ist. Was die Wahlmänner in der Kabine treiben, weiß niemand. Da gibt es überhaupt rein gar nichts freizugeben. Von welchen Überlegungen sie sich leiten lassen, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Das Problem liegt also weniger darin, daß hier irgendjemandem etwas vorgeschrieben wird, als vielmehr darin, wer da abstimmt.
Was aber passiert dann in der Berichterstattung, in den Kommentaren? Da wird von Klatschen für schwarz-gelb gesprochen, von der mangelnden Regierungsfähig- oder Wählbarkeit der LINKEN, von den Auswirkungen auf Frau Krafts Regierungsbildung – Hallo? Juhu? Ich dachte, es solle um die Personen und das Überparteiliche gehen? Und wieso wird eigentlich gerade die einzige Partei, die genau das geforderte tat, nämlich alle Machtoptionen links (oder rechts?) liegen zu lassen und einfach nur die Kandidaten zu bewerten (und eben beide schlecht zu finden) gedisst, als hätte sie gerade den Untergang wenn schon nicht des Abendlandes, so doch mindestens der Demokratie verursacht?
Merkt das wirklich niemand?
Kommt das niemandem seltsam vor?
Mekrt wirklich keiner, daß auch Gauck hier nur eine Figur im kleingeistigen Machtspiel eines Sigmar Gabriels ist, der ja auch nie etwas anderes gelernt hat?
Welche Aussage Gabriels, Trittins, Höhns – wessen auch immer – rechtfertigt die Annahme, es sei hier um höhere Ideale gegangen?
Und welcher Pressekommentar genau rechtfertigt die Annahme, daß die politischen Journalisten etwas anderes als ein Menetekel für schwarz-gelb oder die LINKE in der Bundesversammlung gesehen haben?
Also bitte, kommen wir doch alle mal wieder ein wenig herunter und nennen die Dinge beim Namen. Es ist doch bizarr, wie hier suggeriert wird, der Politikbetrieb nehme auf einmal Auszeit und die Abgeordneten würden urplötzlich in einem Seelendilemma stecken, das ihnen schier die Brust zerreiße.
Im Übrigen ist das ganze Theater zu viel der Ehre für Herrn Wulff. Denn wie @n303n völlig richtig anmerkt, ist der nun so schlimm auch nicht. Er wird das Land vielleicht nicht weiter bringen, aber schadet er denn? Ist er nicht eher das passende Symbol einer Gesellschaft, die mit sich und ihrem Status so weit zufrieden ist und kaum noch Sehnsüchte hat? Will denn dieses Land wirkloich noch vorwärts? Eine Gesellschaft, die Merkel und Westerwelle wählt, will die wirklich noch etwas erreichen? Ich habe da so meine Zweifel. Ist da ein Frühstücksdirektor nicht eher passend? Einer, der Omas sympathisch ist und ansonsten einfach mal nett aussieht? Man darf nie vergessen, daß die Union weit schlimmeres Personal hätte aufbieten können.
Ahja, ehe ichs vergesse. Was etwas untergeht in all dem Bashing der LINKEn, wie hier, hier oder hier: Das Wahlverhalten der 121 im letzten Wahlgang war völlig irrelevant, weil nämlich, wie übrigens durchaus auch von dem einen oder anderen geahnt, einige der Versammelten Angst vor ihrer eigenen Courage bekamen. Wulff ist also mitnichten durch die Hilfe der bösen Kommunisten gewählt, das haben die Tigerenten schon ganz alleine hinbekommen.
Kurz:
Was die SPD getan hat, ist an Armseligkeit kaum zu überbieten. Anstatt sich endlich einmal zur LINKEn (nebenbei: was für ein dämlicher Parteiname, der nichts weiter ausdrückt als eine Platzreservierung im Parlament, also sozusagen Art politisches Handtuch-auf-Sonnenliegen-Spiel) zu positionieren, ihr inhaltlich entgegenzugehen, spielen sie Schmuddelkinder-Karte, die vollkommen unglaubwürdig ist, da sie ja gleichzeitig ausgiebig mit ihnen spielen wollen. Und es ist besonders deshalb armselig, weil die SPD selbst diese Rolle einst einnahm und sich vielleicht ja der eine oder andere bei den Grünen daran noch erinnert, einst selbst so behandelt worden zu sein. Wenn man der einst stolzen Sozialdemokratie dann wenigstens noch glauben würde, daß sie hier und heute auf eine Machtoption verzichten würden, wäre die Angelegenheit ja noch erträglich. Allerdings befürchte ich ja, daß sie eher ihre Großmutter an den gefräßigen Plapperkäfer von Traal verkaufen würden als auf Ministerämter zu verzichten.

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NACHTRAG (14:40): Ich habe Verweise auf die Tagespresse absichtlich unterlassen. Die schreiben auch nichts anderes als die zitierten Twitterer. 😉

Armseligkeit als Prinzip.

UPDATE (14.06.2010): Ja, und dann kommt der Johnny Häusler daher und schreibt mal wieder mehrfach besser als meinereiner dazu. Bitte hier entlang.

“Die Samstagabendunterhaltung steckt in einer tiefen Krise.” sagte einst Gerhard Delling in einem völlig anderen Zusammenhang zu einem völlig anderen Thema. Das Zitat paßt also überhaupt nicht zum Thema, aber es kommt immerhin “Krise” darin vor und wenige Stunden vor Beginn DER WM, also der 4 Wochen nationalen Blackouts, die sich wunderbar eignet, unpopuläre politische Entscheidungen durchzubringen, muß man ja auf Fußball Bezug nehmen. Anders gesagt: Die Chancen, unbemerkt ein paar Gesetze auf den Weg zu bringen, ist direkt proportional zum Erfolg der DFB-Mannschaft. Womit das Zitat ja doch irgendwie wieder paßt.
Ich bin also mal gespannt, was die Tage nach der Wahl des Bundespräsidenten (die derzeitige Regierung hangelt sich ja so von Termin zu Termin, das erinnert mich an die Motivationsübungen mit meinen Kindern, die wir auf dem Nachhauseweg stets mit dem Spruch “Na los, bis zur nächsten Laterne schaffst Du noch…” zum Weiterlaufen animierten) zu bieten haben. Vorausgesetzt, der armselige Kandidat, den sie da aufgestellt haben, wird es auch. Die Reaktionen auf den Personal-Coup von RotGrün haben jedenfalls bei dem einen oder anderen wohl Fracksausen ausgelöst, die CSU jedenfalls schickt diesmal nur Menschen in die Bundesversammlung, denen die parteipolitische Bedeutung dieser Wahl mehr als klar sein dürfte und – das ist das hüpfende Komma – dies auch zum Maßstab ihrer Entscheidung machen.
Das Amt des Bundespräsidenten ist ein repräsentatives, nein, noch mehr, ein symbolisches Amt. Er soll in seiner Person das Einende, das Bindende, das Gemeinsame dieser Gesellschaft darstellen. Strukturell gesehen erfüllt er damit genau die Funktion, die in vielen konstitutionellen Monarchien Europas die Monarchen inne haben (nur war 1945 aus naheliegenden Gründen nicht an eine Wiedereinführung der Monarchie zu denken). Die Regeln für die Zusammensetzung der Bundesversammlung haben selbstverständlich immer dazu geführt, daß parteipolitische Erwägungen eine Rolle spielen. Aber wie bereits bei der Wahl Horst Köhlers, so jetzt mit der Kandidatur Christian Wulffs noch verschärft, werden diese aber zum einzig bestimmenden Prinzip. Die massive Unterstützung für Joachim Gauck quer alle denkbare Institutionen wirkt da wie ein letztes Aufbäumen gegen die vollkommene Entfremdung der politischen Entscheider von der Gesellschaft, für deren Wohl sie doch arbeiten sollen.
Mehr als eine hilflose Abwehrbewegung ist dies aber nicht, denn die Messen sind bereits gesungen und Christian Wulff ist exakt das passende Gesicht zum uninspirierten, kleingeistigen Mittelmaß, das da im Politikbetrieb vor sich dümpelt. Genau das passende Symbol für die armselige, kurzsichtige, einzig auf die eigenen internen Befindlichkeiten orientierte Denkweise unserer Politikerkaste.
Und selbst wenn Gauck gewählt werden sollte, was nur zu wünschen wäre, würde er das wohl nur aus genau diesen armseligen Spielchen heraus. Denn besonders hehre Motive äußern die FDP-Fürsten ja nicht gerade.
Abschließend dazu verweise ich auf den hervorragenden Beitrag von Gregor Keuschnig bei Begleitschreiben.

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